Anna von Lieben oder Cäcilie M. – hysterische Frauen um die Jahrhundertwende in Wien waren häufig aber wieso galten nur Frauen als hysterisch? Wozu verwendete man eine Ovarienpresse und was hat das alles mit Dr. Sigmund Freud zu tun?
Anna von Lieben hätte nach außen hin die glücklichste Frau der Welt sein können. Aufgewachsen im riesigen Palais gegenüber der Staatsoper, als Tochter von Eduard Todesco und Sophie Gomperz. Der Vater hatte das Geld und die Mutter den Schöngeist mit dem sie ihren Salon erfolgreich führte. Doch während die Männer der Gründerzeit als Bankiers, Mäzene, Wissenschaftler und Erfinder berühmt wurden, war das bei den Frauen die modische Zivilisationskrankheit der Nerven, genannt Hysterie. Die Bezeichnung Hysterie geht auf das altgriechische Wort für Gebärmutter „Hystéra“ zurück. Schon seit der Antike soll diese Krankheit in erster Linie bei Frauen aufgetreten sein. Die frühen Ärzte waren der Ansicht, eine Gebärmutter, die nicht regelmäßig mit männlichem Samen versorgt würde, wandere auf der Suche nach Samen im weiblichen Körper umher. Man dachte die Gebärmutter könne sich im Kopf der Frau festsetzen und schwere psychische Schäden auslösen. Obwohl man im 17. Jh. Zweifel an diesen althergebrachten Denkweisen hatte, wurden die fragwürdigen Therapien, denen man bevorzugt Frauen aussetzte, bis weit ins 19. Jh. noch verordnet. Behandlungsmethoden waren Exorzismen, Einatmen des Geruchs von verbrannten Männer- oder Ziegenbockhaaren bis zu Stromstößen oder der Ovarienpresse des berühmten Pariser Psychiaters Jean-Martin Charcot. Dabei handelte es sich um eine Art Ledersattel, in den die Patientin hineingehoben wurde. Die Presse wurde an ihrem Unterleib befestigt und Charcot und seine Anhänger dachten damit die Hysterie bekämpfen zu können. Er galt auch als Erfinder der Hysterie. Sein berühmtester Schüler war Sigmund Freud. Dieser studierte einige Zeit beim „Napoleon der Hysterie“ und wurde Assistent von Charcot in Paris. Freud wandte sich aber nach einiger Zeit wieder von ihm ab. Freuds Primadonna war Anna von Lieben. Mit 41 Jahren war sie zehn Jahre älter als er und wurde in den Fallstudien Cäcilie M. genannt. Sie war eine seiner ersten Patientinnen. Mit 18 Jahren war Anna zu ihrer Schwester nach London geflüchtet in der Hoffnung nicht verheiratet zu werden. Nachdem sie krank wurde, kam sie auf Drängen ihrer Eltern wieder zurück nach Wien und ergab sich schließlich ihrem Schicksal, indem sie den zwölf Jahre älteren Präsidenten der Wiener Börsenkammer, Leopold von Lieben heiratete. Sie wohnten gemeinsam in der Beletage des Palais Lieben in dessen Parterre sich heute das Café Landtmann befindet, eines der Stammcafés von Freud. Ihre Behandlung bei Freud war äußerst intensiv und Freud saß dabei immer am Kopfende der Patientin. Die Therapiegespräche fanden manchmal mehrmals täglich statt und das über Jahre hinweg, meist in ihrem Palais und nicht in der Berggasse, wo sich die Praxis von Dr. Freud befand. Wie äußerte sich nun die Hysterie im Falle von Anna? Nachdem im Zuge der Sprechtherapie lang zurückliegende traumatische Erlebnisse aufgetaucht waren und alles erörtert wurde, ließen die Schmerzen nach. Anna führte ein Analysetagebuch und Freud wagte es, bisher Unaussprechliches zu formulieren: nämlich, dass oft sexuelle Wünsche, unerfüllte Träume und Begehren die tatsächlichen Ursachen vieler psychischen Leiden seien. Und dass Neurosen in den Familienbeziehungen wurzeln. Von Anna konnte Freud viel lernen. Sie war vorher auch schon bei Charcot in Behandlung, aber dessen Methode der Hypnose funktionierte bei Anna nicht. Deshalb landete sie bei Freud, weil keiner mehr wusste was er mit ihr machen sollte. Nach dreißig Jahren hysterischer Auffälligkeiten, Minderwertigkeitskomplexen und Depressionen war Anna von Lieben morphiumsüchtig. Sie erlitt 1900 einen Herzschlag und wurde nur 53 Jahre alt.